Geschichten von Automatix, Erwin und Pistolen-Schubert.

Als ich im Herbst '74 in Lourenco Marques – dem heutigen Maputo – auf der ‚Saxonia’ einstieg, fuhr da ein Reiniger mit dem Spitznamen Automatix. Den hatte er sich eingehandelt, als er irgendwann auf einem früheren Schiff sozusagen ersatzweise die Funktion einer ausgefallenen Schmierölpumpe übernommen hatte und schier endlos - wie ein Automat - über mehrere Tage irgendeine bestimmte wichtige Stelle an der Hauptmaschine mit der Ölspritzkanne von Hand abschmierte.

Automatix – ein jugendlich wirkender Endzwanziger von schlichtem Gemüt - hatte eine leichte Hasenscharte und nuschelte stark. Seine Freizeitinteressen sind schnell erzählt: Bier trinken und Bumsen. Letzteres geradezu manisch – aber völlig unbekümmert in Bezug auf ältere Rechte anderer Besatzungsmitglieder auf bestimmte Kneipentiger. Wie es so schön heißt, alles was nicht rechtzeitig auf die Bäume kam, wurde schnellstmöglich zur nächsten Absteige geschleppt – vorausgesetzt, Automatix verfügte über Cash. Was nicht soo häufig vorkam. Weil – na ja, sein Schuldenstand auf den monatlichen Heuerabrechnungen bewegte sich permanent um die 2000-Mark-Grenze herum. Und, dass der trotz gelegentlicher Reedereianmahnung sich nicht verringerte, das lag an Erwin.

Erwin war der Alte. Genannt KKK = Kümo-Kutscher Katzer. Erwin hatte Anweisung erlassen: Kein Vorschuß an Leute mit Schulden! Vor allem ganz strikte Order an den Funker, Automatix von seinen Schulden runter zu bringen, was also bedeutete totalen Vorschuss-Stopp für den. Automatix verstand es jedoch mit einigem Geschick den Stopp zu unterlaufen. Zum einen mit beständig hoher Kantine so um die 400 Mark monatlich und zum anderen mit beharrlichen Bettelangriffen - auf ein ganz kleines bisschen Vorschuss - bei Erwin selber, und zwar genau dann, wenn der Funker mal nicht an Bord war. Dann zahlte Erwin ihm väterlich jovial den gewünschten Vorschuss aus und lieferte den Schuldschein mit Automatix' Unterschrift am nächsten Tag so im Vorübergehen beim Funker ab. Faltete den aber dann am Monatsende zusammen, wenn nämlich bei Automatix  wiederum 1400 Mark Vorschuss zu Buche standen und der womöglich noch weiter in die Miesen sackte. Wenns mal ganz hart auf hart kam, dann ließ sich Automatix auch mal einen Monat Urlaub bar auszahlen. Was soll’s, Landgang hat Vorrang.

Mit dem Matrosen 'Insel-Willi' – auch 'Fehmarn-Willi' – verhielt es sich ähnlich. Der schickte einen für damalige Verhältnisse hohen Ziehschein von 1400 Mark nach Hause, hatte permanent starken Durst so im Wert von um die 350 Mark monatlich bei einem Nettoverdienst so um die 1700 Märker. Stand auch mit 2300 Miesen zu Buche. Auch Insel-Willi lauerte nur drauf, dass der Funker nur mal eben an Land ging, um sofort lamentierend zum Alten zu rennen und mit Sprüchen wie "Kaptain, ik brruk ma n beeten Schoss, de Funker is all wedder an Land un ik mutt ja schließlich ok mol, un denn har ik joa schunn wedder n Haufn Stünns mokt , also wat is mid so klein’ hunnerd Dollars, Kaptain, wa?

Und Erwin zahlte wieder gönnerhaft schmunzelnd aus und Insel-Willi zog fröhlich an Land, knallte sich die Birne voll, krallte sich n schwaddn Feger und ließ sich's wohl sein. Und der Funker kriegte am Monatsende auch für die Schulden von Insel-Willi wieder ein’ übergebraten. Und Insel-Willi sein 1400-Mark-Ziehschein war nun gar nicht zu stoppen, weil er ja auf Fehmarn verheiratet war und dazu drei kleine Kinder auf der Steuerkarte. Man erzählte sich, wenn der sich zu Hause mal so richtig ein knallt und kommt dann abends so nach 10 nach Hause getorkelt, dann lässt ihn seine Olle nicht in die gemeinsame Wohnung rein, und dann muss er notgedrungen draußen auffe Fußmatte pennen.

Na ja, zurück zu Automatix. Ein Auslassventil an der Hauptmaschine wurde abgebaut und Automatix sollte es festhalten. Der aber hatte das Gewicht von diesem massiven Stahltrumm völlig unterschätzt. Hätte natürlich auch der Chief erkennen müssen - Nase -, wo der schon mal dabei stand. Als der letzte Bolzen raus war, ließ Automatix das schwere Teil nicht etwa los, als er es nicht mehr halten konnte, sondern hielt stur fest und als das Ventil auf die Flurplatte krachte, zogs ihn mit und dabei kam Automatix' Finger zuunterst. Platt! Natürlich gebrochen. Notdürftige Verarztung an Bord ...die (Ärzte) hier an Land taugen ja sowieso nix... (Erwin). Der Finger wurde geschient und Automatix bekam Schonung. Was besagte, dass er nur noch mit leichten Arbeiten beschäftigt werden durfte... Was sind schon leichte Arbeiten in der Maschine??? Auf einer altmodischen runtergefahrenen Gurke wie dem – zweiten aus der Serie – ‚German-Liberty-Bau’ SAXONIA? Mit einer klobigen Fiat-Borsig-Maschine gebaut anno 1968?

Automatix konnte man ja viel erzählen; also arbeitete er geduldig weiter. Sein Finger wurde dunkel, wurde schwarz. Das Schiff lief endlich aus – Richtung Japan. Dort angekommen nach 35 Tagen Seetörn – endlich, unser 2.Offizier Jakobeck hatte beim Alten mit großem Nachdruck darauf bestanden, wurde - natürlich nicht gleich im ersten Hafen - Automatix zum Arzt geschickt. Und als er wieder kam, war sein Finger ein Stück kürzer. Eine Teilamputation hatte man nicht mehr umgehen können. Und dann, ja dann ließ sich eine vorzeitige Heimschaffung auch nicht mehr länger raus ziehen. Nein, diese Kosten aber auch!

Ein Jahr später ein neues Kapitel mit Automatix und Erwin. Diesmal auf der DALMATIA. Ein Bäcker oder Messesteward war es wohl, der war angemustert mit Kleinkalibergewehr. Die Leute waren damals noch nicht so zahm wie heute und leisteten sich eben so allerhand Marotten. So wie sich halt auf der SAXONIA die halbe Crew in Japan Plastikspielzeugbausätze kaufte. Die baute man geduldig zusammen und spielte dann damit. Vom Bugatti Royal über neueste Motorradmodelle bis zur Howitzer-Selbstfahrlafette Hummel - Maßstab 1:20 - war alles an Bord vertreten. Die Hummel fuhr per Drahtfernsteuerung gelenkt und mit Bierflaschen beladen von Kammer zu Kammer. Der Deckschlosser Gautier - genannt das Grautier - schleppte eine komplette Carrera-Rennbahn mit sich rum und veranstaltete unter lebhafter Publikumsbeteiligung Rennen an Deck damit. Warum also nicht auch ein Kleinkaliber-Gewehr.?

Zurück zu Automatix. Erwin  kassierte das KK-Gewehr des Bäckers erstmal ein - vollkommen richtig - und verwahrte es im Zollstore. Eines schönen Tages macht der Steward das Zollschapp sauber, als Automatix aus der Maschine hoch mit seiner Fuhlbrass da vorbeikommt. Der Steward macht sich einen Jux, Sagt: „So Automatix, jetzt knall ich dich ab“, nimmt das KK und tut so, als ob er auf Automatix anlegt. Und tscha  – dabei löst sich ein Schuss. Automatix hält sich die Hände vors Gesicht. Zwischen seinen Fingern quillt Blut hervor. Eine Riesenaufregung. Automatix hat ein richtiges Loch in der Backe und ein Zahn hat auch dran glauben müssen. Das Projektil war trotz intensiver Suche nicht auffindbar. Nachdem sich das Opfer von seinem ersten Schrecken erholt hatte, ...erst ma n Bier! Alle amüsierten sich königlich, als ihm das Bier durch das Loch in der Backe wieder rauslief. Automatix bewies Stil und lachte mit - unter Schmerzen. Der Steward kriegte dann noch fürchterlich ein' reingehängt und für Erwin war damit die Sache vom Tisch und erledigt. So einige Wochen später kriegt Automatix anhaltende Zahnschmerzen und, als er im nächsten Hafen endlich zum Zahnarzt geschickt wird, siehe da, holt ihm der das bis dato nicht auffindbare Projektil aus dem Kiefer.

Noch ne Story mit Schusswaffen. Anfang der 60er gab es bei Ahrenkiel einen alten Kapitän mit so einem Ziegenbart wie der unselige DDR-Ulbricht. Allgemein bekannt unter dem Spitznamen Pistolen-Schubert. Ich habe ihn auf der Werft bei Blohm + Voss erlebt, wo er die Bauaufsicht auf der neu entstehenden Constantia machte. Er war gar nicht mal so uneben, nur einmal pöbelte er fürchterlich durch die Gänge. Das war als die beim Rohbau so nach und nach hochwachsenden Aufbauten das Kapitänsdeck erreicht hatten und er seine künftigen Räumlichkeiten erstmals in Augenschein nahm. 'Waasss ???! Das – daasss ist das Scheißhaus des Kaptääns?!!! brüllte er mit ansteigender Stimme so laut, dass trotz des Baulärms alle die Ohren spitzten. Sein künftiges Klo war ihm zu klein geraten. Von einem Deck tiefer maulte laut aber unerkannt ein Schiffbauer: "Du sollst da ja nich drinne knacken, nur kacken, du Mors..."

Den "Pistolen"-Schubert hatte er sich schon bei der Hapag eingehandelt. Das kam so: Kapitän Schubert trank sich gerne einen. Zu Feierabend und auch sonst. Na ja, ein Kaptain hat ja gaar kein Feierabend. (Behaupten alle Kapitäne). Und da er nun mal sehr ungern alleine trank und bald aus seinem Ing- und Offiziersstaff keine freiwilligen Mit-Zecher mehr dazu locken konnte, beorderte er einfach seinen 1.Steward zum Dienstsaufen. Als auch der nach längerem von dieser Art Parties die Schnauze voll hatte, entzog er sich eines Tages dem Drängen des Alten kurzerhand durch eilige Flucht... Schubert brüllte 'Halt! Hier geblieben!' griff seinen Ballermann aus der Schublade und schoss mal kurz seinem obersten Feudelschwinger hinterher. Und traf! Just in demselben Sekundenbruchteil, als jener um die nächste rettende Gangecke rum in Sicherheit jumpte. Dachte er – aber denkste! Einen ordentlichen Streifschuss am Hintern brachte es ihm ein. Die Story sprach sich natürlich herum und schnell machte der Spruch die Runde: "Doppelter Wangendurchschuss! Gesicht unverletzt!"